Das Andere der Vernunft

Eine künstlerische Recherche von Barbara Stellbrink-Kesy

Ausstellung im Sennestadthaus Sennestadt vom 5. Februar – 30. April 2017

Meerjungfrauen, Sirenen, Undinen und die Schlangenkönigin Sahmeran, deren Mythen und Märchen in ganz Asien verbreitet sind, haben eines gemeinsam: Mit ihnen sind Märchen und Mythen verbunden, die von deren heilsamen Fähigkeiten erzählen. Diese Gestalten bewegen sich zwischen der Welt der Menschen und der uns weitgehend unbekannten Tiefe des Wassers. Gleichzeitig sind sie weibliche Erscheinungsformen des ‚Anderen’, das in unserer Kultur häufig als unvernünftig betrachtet und ausgegrenzt wurde.

‚Mama Water’ ist die afrikanische Göttin des Wassers und damit für die Übergänge zwischen Leben und Tod zuständig. Sie kann entscheidend in das Schicksal von Menschen eingreifen. Bedrohlich, aber zugleich kreativ und heilsam, ist sie für die Wahrung des Gleichgewichtes zwischen den Kräften der Natur und den Menschen ebenso verantwortlich wie für das körperlich/seelische Gleichgewicht der Menschen. Mama Water Kulte- und Praktiken verbreiteten sich seit dem 19. Jahrhundert in weiten Teilen Afrikas und Lateinamerikas. Ihre Priesterinnen helfen denjenigen, die sich nicht mit dem alltäglichen Leben, den Normen und Erwartungen der Gesellschaft abfinden können. Mit den Mitteln von Tanz, Musik und Kunst rekonstruieren sie die verletzten Identitäten der Menschen, die mit den traditionellen Wertvorstellungen in Konflikt geraten sind.

Irmgard Heiss, geboren 1897, wurde 1925 in eine Westfälische Heil- und Pflegeanstalt eingeliefert. Der Hintergrund: Sie hatte die Normen ihrer Zeit verletzt und sie wollte selbstbestimmt leben. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde sie Opfer der  NS-„Euthanasie“-Politik. Ihre Geschichte wurde in der Familie verschwiegen. Diesem Schweigen setzt die Künstlerin eine Reihe von Portraits der Totgeschwiegenen entgegen.

Die Erscheinungsformen von ‚Mama Water’ begegnen auf diese Weise einem Abschnitt der Psychiatriegeschichte in Deutschland, der lange Zeit unbeachtet und unaufgearbeitet blieb. Die Arbeiten verweisen auf das, was in Gesellschaften häufig als ‚das Andere der Vernunft’ definiert, ausgegrenzt und stellvertretend bekämpft wird.

Blick in die Ausstellung

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