oder „Die Unerhörte“
Ich war schon im mittleren Alter, als mein Vater zum ersten Mal von der Schwester seiner Mutter sprach. Wer war Irmgard? Nach dem Tod meines Vaters fand ich ihre Briefe unter dem doppelten Boden eines Schrankes. Ich begann, im Familienarchiv und in der 2011 entdeckten Krankenakte zu recherchieren und konstruierte auf der Grundlage der Dokumente die Geschichte einer erstaunlichen Frau, die in der Zeit zwischen den Kriegen die Versprechungen der Moderne für ein selbstbestimmtes Leben als Frau einfordern wollte. 1925 wurde sie als „psychopathisch minderwertig“ stigmatisiert. Damals galt diese „Diagnose“ auf dem Hintergrund der aufkommenden Rassenhygiene als angebliche ‚Krankheitsform‘. Sie war eine ‚Fremde‘ von damals.
Aus der Biografie wurde eine Doppelbiografie, denn Irmgards Lebensgeschichte stellte sich als eng verwoben mit derjenigen ihres Bruders, des evangelischen Pfarrers Karl-Friedrich Stellbrink, heraus. Als Langzeitpatientin psychiatrischer Anstalten ab 1930 war seine Schwester 1939 ins Raster der NS – Krankenmordaktionen geraten. Für den völkisch nationalistischen Bruder begann eine Zeit der Wandlung. Seine Schwester gehörte zu einer Handvoll Patienten, die einen Meldebogen der Organisation Tiergartenstraße 4(T-4) für die Gasmordanstalt Hadamar überlebte, bevor sie in der zweiten Phase der Krankenmorde 1944 an den Folgen von Hunger und Vernachlässigung starb. Ihr Bruder war kurz zuvor nach einem Prozess vor dem Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet worden, gemeinsam mit drei katholischen Kaplänen.
Nun wird die lange verborgene Geschichte von Irmgard Heiss/Stellbrink erzählt. Und mit ihr die einer Gruppe von Geistlichen in Lübeck, die sich zu einer Widerstandsgruppe über die Konfessionen hinweg zusammengeschlossen hatten.
Der Roman wird im Frühjahr 2020 im Verlag am Turm-zba.BUCH erscheinen.
Barbara Stellbrink-Kesy, Berlin im Oktober 2019